Ich habe vor einiger Zeit einen Vortrag von Dr. Hauss vom Labor Hauss in Eckernförde gehört. Dabei ging es um Ernährung, Stoffwechsel, Adipositas und warum Abnehmen mit soviel Schwierigkeiten verbunden ist.
Eine zentrale Aussage im Vortrag war, dass es, wenn es ums Abnehmen geht, zwei Arten von Menschen gibt: den Jäger und Sammler und den Ackerbauer. Der Jäger und Sammler kann kein Getreide vertragen, der Ackerbauer kann soviel Brot essen wie er will usw. …
Was mich seit dem ganz tief beschäftigt und in ganz vielen Situationen in der Praxis und in meinem privaten Umfeld immer wieder hochkommt, ist folgende Aufzählung von Dr. Hauss:
- vor uns heutigem Menschen gab es 120.000 Generationen Jäger und Sammler
- erst seit 500 Generationen gibt es Ackerbauern
- seit ca. 10 Generationen gibt es die Industrialisierung
- seit gerade einmal einer Generation gibt es Handys (von mir dazu gefügt)
- und seit vielleicht einer halben Generation Smartphones (von mir dazu gefügt)
Die ersten drei Zahlen kenne ich aus dem Geschichtsunterricht … : auswendig gelernt und nie mit Inhalt hinterlegt wie die meisten Sachen aus der Schulzeit.
Doch jetzt holen mich diese Geschichtszahlen wieder ein.
Wenn wir doch glauben, dass wir so moderne Menschen sind und das Leben und die Welt und die Natur kontrollieren können, was ist dann mit den 120.000 Generationen vor uns. Können wir das was uns wirklich ausmacht ausblenden? Wie sind die 120.000 Generationen mit bestimmten Dingen umgegangen, wie haben sie reagiert, reagieren müssen, wie ihr Leben gelebt?
Diese Fragen kommen mir immer öfter in den Sinn, z.B. wenn Patienten in die Praxis mit Hashimoto Thyreoiditis kommen, schon mit fertiger Diagnose oder wir stellen im Laufe der Zeit die Diagnose.
Hashimoto ist in den meisten Fällen von Ängsten und Panik, wie „Nebel im Kopf“, geprägt. Die Frauen fühlen sich einfach nicht mehr wie sie selbst.
Wenn wir dann im Anamnesegespräch anfangen, das Leben und die Umstände die zum Hashimoto geführt haben, zu beleuchten, stellen wir meistens ganz schnell fest, das diese Patienten alle in Zwängen und „Verrenkungen“ und Arrangements leben, die sie völlig überfordern und nicht dem entsprechen was eigentlich in uns steckt: nämlich 120.000 Generationen.
Vom Hashimoto sind meist junge Frauen betroffen. Bei uns ganz typisch: junge Mutter mit 1 oder 2 Kindern, berufstätig, Haus gebaut oder gerade am bauen, Mann auf Montage, wenn´s geht noch ein Elternteil pflegen und die Schwiegereltern wohnen nebenan. Für die Kinder völlige Selbstaufgabe: Klavier-, Tanz-, Karate-, Reitunterricht – das ganze Programm. Dann noch mindestens Elternsprecher in der Schule. Ach und weil der Ehemann so gern einen Hund hätte, gibt es auch noch einen Vierbeiner um den sie sich kümmern muss. Alles muss perfekt sein, das Haus immer blitzeblank. Und immer modisch gekleidet und gestylt und natürlich lieb und nett und nach außen immer eine freundlich lächelnde Maske damit niemand sieht, was Innen los ist.
Der Klassiker! Finde den Fehler. Niemand, wirklich niemand auf dieser Welt schafft das.
Passend dazu habe ich neulich einen ganz kleinen Bericht am Rande in unserer Zeitung gefunden, in dem stand, dass statistisch 1⁄3 aller Mütter heutzutage mit ihrer Rolle als Mutter unzufrieden sind. Keine weitere Aussage, keine Ursachenermittlung, keine Hintergründe. Mmh.
Was passiert mit uns, wenn wir gegen unser Innerstes ankämpfen, nicht auf unsere innere Stimme hören? Was, wenn wir diese Unmenge an 120.000 Vorfahren ignorieren und jedem Modetrend hinterherrennen? Wir uns durch gesellschaftlichen Druck, Medien, Werbung und Konsum manipulieren lassen?
Meine Antwort: Wir zerreißen uns selbst.
All diese Gedanken und Fragen beschäftigen mich und ich versuche jeden Tag mehr, auf mein Innerstes zu hören; was ist gut für mich und was gehört hier nicht her.
Und dann fahre ich am Donnerstag mit dem Auto los und merke erst zu spät, das ich mein Handy zu Hause vergessen habe. Ok, kein Problem, ich nutze es ja sowieso nicht so viel. Aber trotzdem kommt eine starke Unruhe in mir hoch, ein Flattern und ängstliche Gedanken: „oh Gott, jetzt muss ich eine Stunde ungeschützt auf der Straße verbringen, ohne Handy. Was ist wenn mir was passiert? Was mach ich jetzt nur?“
Und das nach nur einer Generation Handys!
Ich habe die Fahrt übrigens überraschender Weise auch ohne Handy völlig schadlos überstanden, es dann liebevoll wieder in meine Arme geschlossen und war froh, dass ich sofort wieder abgesichert war. Und wenn auch nur ganz imaginär.
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